Durchdachte Gedanken zwischen Algorithmus und Applaus

Der Blog von Ferry van Saalbach über Technologie, Gesellschaft, Moderation und KI.

Eine Waage, die auf der einen Seite ein KI-Symbol und auf der anderen Seite einen Hammer hält.

Durch KI wird Recht endlich wieder gerecht

Künstliche Intelligenz wird die Art, wie wir mit (rechtlichen) Auseinandersetzungen umgehen, radikal verändern. Und sie wird – im besten Fall – Machtverhältnisse verschieben. Nicht, weil neue Gesetze geschrieben werden – sondern weil bestehende Gesetze endlich gleichmäßig angewendet werden könnten. Und dadurch für mehr Gerechtigkeit und in der Folge auch wieder zu mehr Vertrauen in den Rechtsstaat führen werden.

Juristische Einschätzung auf Knopfdruck

Wenn ich heute eine rechtliche Frage habe, die mich beschäftigt, dann öffne ich ChatGPT, erläutere meine Situation, liefere natürlich möglichst viel Kontext und bekomme innerhalb weniger Minuten eine ziemlich präzise Einschätzung. Eine Einschätzung, die mir direkt sagt, welche Rechte ich habe, welche Gesetze betroffen sind, wie ein Gericht voraussichtlich urteilen würde und welche Handlungsoptionen ich jetzt wahrnehmen kann.

Meistens ist das erstmal ein Angebot von ChatGPT, mir ein Schreiben aufzusetzen, mit dem ich der Gegenseite darlege, wie ich die Sache sehe. Und direkt danach das Angebot, eine Dokumentation zu erstellen, die ich dann im nächsten Schritt an einen Anwalt weiterleiten könnte.

Damit habe ich eine juritische Erst-Einschätzung immer griffbereit in der Hosentasche. Ohne, dass ich einen Anwalt anrufen, einen Termin buchen oder eine Erstberatung bezahlen müsste. Und das kann ich beliebig oft machen. Egal, wie groß oder klein mir die Sache vorkommen mag, die ich da gerade diskutiere.

Für viele Menschen ist und war genau das bisher die größte Hürde: überhaupt in Erfahrung zu bringen, ob sie auf irgendetwas ein Recht haben. Ob es in Ordnung ist, wenn der Vermieter monatelang den Aufzug nicht repariert. Ob eine Behörde einfach eine Entscheidung in die eine oder andere Richtung treffen darf. Ob und welche Einspruchsmöglichkeiten man hat, wenn ein Unternehmen einem ein bissiges Schreiben schickt.

Viele Menschen haben bisher häufig klein beigegeben, anstatt ihr Recht einzufordern. Viele haben sogar schon klein beigegeben, bevor sie überhaupt nachgeforscht haben, ob und was sie in ihrer jeweiligen Situation tun könnten. Weil sie sich davor gescheut haben, dann einen Anwalt bezahlen zu müssen oder vor Gericht gezogen zu werden und ein teures Verfahren führen zu müssen.

Wenn ich aber in Zukunft in Sekunden ein rechtlich stichhaltiges Argument formulieren kann, sinkt die Schwelle enorm, mich gegen übermächtige Gegner zu wehren – ob das nun eine Großvermietungsgesellschaft wie Vonovia ist oder eine Behörde.

Das Recht wird damit zugänglicher. Und damit auf lange Frist auch gerechter.

Vom Privileg zur Selbstverständlichkeit

Juristische Beratung ist in den letzten Jahren und Jahrzehnte immer mehr zum Privileg geworden. Das Gefühl, dass man deutlich besere Chancen im Recht hat, wenn man sich einen besseren Anwalt leisten kann, wurde immer präsenter. Oder dass man sich die Frage stellen musste, ob man sich überhaupt einen Anwalt leisten könnte. Und wer das nicht konnte, der musste oft einfach hinnehmen, was andere entschieden.

Künstliche Intelligenz wird diese Schieflage jetzt aber korrigieren. Und damit demokratisiert sie das Wissen über Rechte und Verfahren.

Denn ein demokratischer Rechtsstaat lebt davon, dass die Menschen, die in ihm leben, ihre Rechte kennen, anwenden und einfordern.

Wenn Recht zur Kulisse wird, gefährdet das die Demokratie

Unserer Gesetze sind zum allerallergrößten Teil wirklich gut. Das Problem ist aber, dass sie in der Praxis viel zu selten oder sogar schief angewendet werden. Aber nicht, weil der Gesetzgeber versagt hätte, sondern weil die Menschen, die von diesen Gesetzen profitieren sollten, oft gar nicht wissen, dass sie sie hätten nutzen können.

Das hat das System verzerrt. Denn Recht, das nicht wahrgenommen wird, ist kein Recht – sondern Kulisse.

Und zur Wahrnehmung von Recht gehört eben auch ein Verständnis des Rechts und ein beharrliches Einfordern dessen.

Behörden müssen daran erinnert werden, den Geist des Gesetzes zu achten

Wie schnell Recht zur Kulisse wird und der Geist des Gesetzes (der meistens in den ersten Paragraphen beschrieben wird) durch seine fortdauernde, schiefe Anwendung ad absurdum geführt wird, habe ich am eigenen Leib erfahren, als ich nach längerer Krankheit auf die Unterstützung durch die Deutschen Rentenversicherung angewiesen war. Die Leistungen, die mir seinerzeit zustanden, werden durch das SGB IX beschrieben und wofür dieses Gesetz da ist, steht deutlich in den Allgemeinen Bestimmungen in §§ 1-8. Die DRV schien das aber nicht zu interessieren und damit widersprach sie eigentlich dem, was in diesem Gesetz steht. Ich habe hier einen Blog-Artikel über das Verfahren und seine Hintergründe veröffentlicht.

Das passiert nicht nur in meinem spezifischen Fall – es passiert mit vielen Gesetzen. Damit wir da aber gesamtgesellschaftlich wieder an einen Punkt kommen, an dem Gesetze das tun, wofür sie da sind, nämlich: unsere Gesellschaft gerechter machen, müssen wir wieder lernen, unser Recht einzufordern.

Künstliche Intelligenz kann und wird dazu beitragen. Indem sie genau diesen Zugang barrierefrei macht, wenn sie Argumentationshilfe leistet, Vorlagen erstellt, Akten interpretiert und Widersprüche begründet. Wenn sie uns dabei hilft, darzulegen, was unser Recht ist und wie wir es einfordern können. Und dann verschwindet ein Teil dieser Ohnmacht. Dann wird das Recht wieder zu dem, was es sein sollte: ein Werkzeug für alle. Und das wird der Demokratie, dem Zusammenhalt und dem Glaube an unseren Rechtsstaat enorm gut tun.

Bringt die Zukunft schnellere Entscheidungen?

Ich bin überzeugt, dass wir irgendwann auch noch einen gewaltigen Schritt weitergehen werden. Nämlich dann, wenn KI nicht nur nur Rechtsfragen einschätzen, sondern in vielen Bereichen auch entscheiden wird – zumindest vorentscheiden.

Man stelle sich einfach mal vor, Verkehrsverstöße werden künftig nicht mehr ausschließlich von Menschen beurteilt, sondern von Systemen, die Dashcam-Daten automatisch auswerten. Objektiv, nachvollziehbar, ohne persönliche Sympathien oder Tagesform. Und vor allen Dingen: ohne Wartezeit.

Das klingt im ersten Moment technokratisch – ist aber im Kern zutiefst gerecht. Und würde dazu beitragen, dass wir wieder sehr viel mehr Ordnung und Rücksichtnahme auf den Straßen hätten. Und entsprechend weniger aggressives Verhalten, weniger Nötigung, weniger Bedrängen, weniger Gefahr und am Ende natürlich vor allen Dingen: weniger Unfälle.

Und dieses Beispiel ließe sich noch auf so viele weitere Rechtsgebiete ausweiten. Seien es die Beziehungen zwischen Vermieter und Mieter, Behörde und Bürger, Unternehmen und Kunde Vertragspartnern – das Feld ist schier unendlich.

Wir haben die Gesetze. Wir haben die Regeln. Woran es heute oft fehlt, ist ihre konsequente, faire Anwendung.

Weil wir dafür zu wenig Menschen haben, die sie bearbeiten. Und zu wenige Menschen, die sie einfordern.

Wenn KI hier aber irgendwann mit neutraler Präzision Entscheidungen trifft, kann sie den ursprünglichen Geist vieler Gesetze wiederherstellen. Und dann gilt endlich wieder: gleiches Recht für alle.

Das Ende der juristischen Einschüchterung

All das bedeutet nicht, dass KI die Menschlichkeit aus dem Recht verdrängen wird. Das glaube ich nicht und aus heutiger Sicht hoffe ich das auch nicht. Wirkliche und weitreichende Entscheidungen sollten am Ende immer von Menschen getroffen werden. Zumindest bis die KI eindeutig unter Beweis gestellt hat, dass sie bessere Entscheidungen trifft und die Menschheit dabei nicht schädigt. Für mich ist das heute aber noch kein Thema.

Für mich ist das Thema, dass KI schon sehr schnell und mit dem heutigen Stand dazu beitragen wird, das Machtgefälle im Recht zu verschieben. Sie wird denjenigen eine Stimme geben, die bisher aus Angst vor Kosten, Aufwand oder Fachbegriffen geschwiegen haben. Und dadurch schleichend immer mehr den Rechtsstaat als Gegner und nicht als Unterstützer wahrgenommen haben.

Darum wird genau das am Ende zu mehr gesellschaftlichem Frieden führen – nicht, weil es weniger Konflikte gibt, sondern weil die Konflikte klarer, schneller und gerechter gelöst werden.

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